Vorwort Spielerreportagen

Jedes Jahr machen die Bundesländer mit dem gemeinsamen Aktionstag Glücksspielsucht auf die Probleme rund um riskantes Glücksspielverhalten und pathologisches Glücksspielen/Glücksspielsucht aufmerksam. Der Aktionstag findet immer am letzten Mittwoch im September statt: in diesem Jahr also am 28.09.2022.

Kinder aus glücksspielsuchtbelasteten Familien

Unter dieser Überschrift finden die Veranstaltungen in Nordrhein-Westfalen in diesem Jahr statt. Bis zum Aktionstag veröffentlichen wir an dieser Stelle einige Spielerreportagen zu diesem Thema. Sie stammen aus dem Fundus unseres Kollegen Jürgen Trümper, der im Mai diesen Jahres verstarb.

Eine erste kleine Sammlung der „Spielerreportagen“ gewann 1998 den Literaturwettbewerb des Westfälischen Literaturbüros. Bedauerlicherweise sind auch die meisten der seinerzeit tagesaktuellen Texte es auch heute immer noch. Einige der „Spielerreportagen“ waren Text-Bausteine der Spielerrevue „Spielend in die Abhängigkeit“, einer Collage aus Texten, Lieder und Szenen der Theatergruppe des Arbeitskreises gegen Spielsucht e.V., die sich 2002 auflöste. Weitere Textauszüge sind dem Drehbuch „Automatisch“ (2005) entnommen.

Den Auftakt zu dieser Reihe macht das Vorwort von Jürgen Trümper:

Menschen, die Glücksspielsucht in ihrer unmittelbaren Lebenswelt als Spielende oder als Angehörige nicht er-, durch- und manchmal überlebt haben, werden einige der nachfolgenden Texte als brutal und zynisch empfinden.

Ich bin nicht brutal. Ich bin nicht zynisch.

Glücksspielsucht wirkt brutal und zynisch, denn Glücksspielsucht dringt brutal und zynisch in das Leben von Menschen ein. In das der Spielenden. In das der Angehörigen. In die Gesellschaft.

Einige Texte sind dunkel hoffnungslos. „Die Hoffnung stirbt zuletzt“ wird meist als verbaler Muntermacher in scheinbar aussichtslosen Situationen ebenso praxisfern wie hilflos eingeworfen. Als Appell, in tiefschwarzer Nacht noch auf einen Ausweg zu hoffen. Aber, auch wenn es für Sie und für mich nur schwer zu akzeptieren ist: Auch Hoffnung stirbt und bittere Konsequenzen sind Lebensrealitäten. Diese zu verschweigen bedeutet, Glücksspielsucht zu verharmlosen.

Aber wo bleibt dann die Mut-machende Botschaft! In Hollywood. In der Traumfabrik ist es möglich nach 89 Minuten Tragödie noch diese eine, das geigenunterlegte Happyend, auf Zelluloid zu bannen. Nicht im realen Leben. Hier eröffnet erst der Leidensdruck Wege zur Veränderung. Bedauerlicherweise richten sich Menschen in ihrem Elend auf Jahre ein, finden zerstörerische Sicherheit in ihren Lebenslügen. Deshalb sollen einige der „Spielerreportagen“ provozieren, erschüttern, weh tun – hart am Rande des Erträglichen.

Glücksspielsucht verformt Menschen: Sie werden Opfer und Täter. Oft in wechselnden Rollen: Ja, sie ist real, die Frau, die ihre Kontokarte im Bügeleisenkarton versteckt, der Mann, der seinen Sohn im Wagen vor der Spielhalle vergisst, die besorgte Mutter, die sich um eine Spielhallenkonzession bemüht, der Strafgefangene, der sich im Gefängnis frei fühlt, der Ehemann, der sich an seinem Geburtstag umbringt, der Spielhallenräuber mit der 100er-Serie, der Spieler, der seine Ehefrau sediert, um spielen gehen zu können, die Ehefrau, die die Abstinenz ihres Mannes bedauert, weil nichts mehr so ist wie früher… Dennoch sind die „Spielerreportagen“ keine reinen Dokumentationen. Sie sind oft verfremdete Realität und manchmal sogar Fiktion.

Aber: Selbst in den überzogen fiktiven Beiträgen steckt immer ein Körnchen Realität und damit die Möglichkeit, dass aus diesem Keim an sich unvorstellbarer Fiktion grausame Wirklichkeit werden könnte. Auch Corona und die daraus folgende Lebensrealität war bis vor Kurzem nur Stoff für Science Fiktion.

Jürgen Trümper – 1998/2020
Über die Jahre erweitert und teilweise im November 2020 aktualisiert